Kreis Hildesheim. Genuss, Bewegung und Musik sind die Zutaten der fünften Taufengelwanderung des Kirchenkreises Hildesheimer Land-Alfeld. Dieses Mal könnte es für die Teilnehmer besonders interessant werden, da auch Landesbischof Ralf Meister seine Wanderschuhe schnüren wird: „Ich freue mich schon auf die Gespräche von Mensch zu Mensch, weil die Begegnungen bei einer Wanderung immer eine besondere Leichtigkeit haben“, sagt Meister.
Der evangelische Kirchenkreis beherbergt einen Schatz, der in dieser Konzentration einzigartig in Norddeutschland ist. Viele Dorfkirchen haben nicht die gewohnten Taufbecken, sondern Engel, die die Taufschale halten. Die Figuren, die in der Zeit des Barock zwischen 1680 und 1780 entstanden, haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Als nach 1800 die aufgeklärte protestantische Nüchternheit einsetzte, kamen sie bald aus der Mode. In der braunschweigischen Landeskirche wurden sie 1846 sogar ausdrücklich verboten. „Sie wurden verkauft, versteckt, vergessen oder verbrannt", sagt der Lamspringer Heimatforscher Axel Kronenberg. Viele Kunstwerke landeten in staubigen Ecken auf dem Dachboden. Trotzdem sind in Niedersachsen rund 100 Taufengel erhalten, 26 davon befinden sich im hiesigen Kirchenkreis.
Die von heimischen Meistern aus Eichen- oder Lindenholz geschnitzten Figuren wurden populär, weil es in lutherischen Dorfkirchen nach dem Dreißigjährigen Krieg häufig zu eng war. „Damals strömten die Menschen in die Kirchen", sagt Kronenberg. So schaffte man vielerorts die Platz raubenden Taufsteine ab. Adelige Stifter ließen stattdessen Taufengel vom Himmel schweben: „Die Menschen wollten den Geist Gottes sichtbar machen."
Manche Taufengel sind auf einer Seilrolle aufgehängt und werden von einem Gegengewicht über der Decke ausbalanciert. Andere können mit einer Kurbel heruntergelassen werden. In einigen Kirchen wurde der Seilzug später mit einer elektronischen Fernbedienung ausgestattet, so dass der Pastor den Engel heute per Knopfdruck herabschweben lassen kann.
Seit mehr als 20 Jahren erleben Engel eine Renaissance, erzählt Kronenberg. Und so holen viele Gemeinden die Taufengel wieder hervor: „Sie haben entdeckt, was für einen Schatz sie daran haben." Viele Figuren wurden restauriert. Einige sind jedoch so beschädigt, dass nur noch jede Dritte von ihnen in Gebrauch ist.
Bei der diesjährigen Taufengel-Wanderung am Sonntag, 16. Juni, pilgern die Teilnehmer von Bodenburg aus zum Taufengel in der Wehrstedter Kirche. Neben dem Landesbischof wird auch Engelforscher Dr. Uwe Wolff dabei sein. Der Angelologe ist durch zahlreiche Publikationen bekannt, wird während der Wanderung über die Engelforschung berichten: „Engel sind reale Wirklichkeit, sie kommen aus einer anderen, unsichtbaren Welt“, sagt der Kulturwissenschaftler der Universität Hildesheim. Er ist davon überzeugt, dass jeder Mensch einen Schutzengel hat. Um diesen „spirituellen Bodyguards“ zu begegnen, brauche man allerdings Ohren des Herzens und Augen der Seele.
Eine Anmeldung für die Veranstaltung ist nicht erforderlich. Start ist um 15.30 Uhr an der Johanneskirche in Bodenburg. Die rund 3,5 Kilometer lange Wanderung wird durch geistliche Impulse und Gesang unterbrochen, am Ziel steht für die Teilnehmer ein Imbiss bereit. Zum Abschluss gibt es am Wehrstedter Taufengel eine Andacht. Ein Shuttle-Dienst sorgt anschließend für die Rückfahrt nach Bodenburg bereit. Peter Rütters