Kreis Hildesheim. Für Ellen Radtke war dieser Sonntag „ein Tag mit Goldrand“. Passend dazu erklang „An Tagen wie diese“ von den Toten Hosen in der Deinser Kirche. Dort führte Superintendent Christian Castel die 34-jährige Frau als Springerpastorin in ihr Amt ein.
Heute in Söhlde, morgen in Nettlingen und übermorgen vielleicht in Gronau. Als Springerpastorin weiß Ellen Radtke nie so genau, wo sie der Kirchenkreis Hildesheimer Land-Alfeld als nächstes einsetzen wird. Für die Pastorin ist das allerdings überhaupt kein Problem: „Ich mache nur die schönen Dinge, muss mich nicht mit dem Rattenschwanz der Verwaltungsarbeit beschäftigen.“
Die schönen Dinge - das sind für Ellen Radtke Gottesdienste, Taufen, Konfirmationen, Trauungen, aber auch Beerdigungen: „Alles Aufgaben, für die ich ausgebildet wurde“, sagt die aus dem Münsterland stammende Frau. Besonders die Hochzeiten haben es ihr angetan. Wenn Braut und Bräutigam die Ringe getauscht haben, die Pastorin eine Stola um die Hände des Paares legt und den Segen spricht, dann ist für Ellen Radtke ein ganz spezieller Augenblick gekommen: „Wenn es einen Moment gibt, dass es den Heiligen Geist gibt, dann da.“
Als Springerpastorin hat sie der Kirchenkreis seit März dieses Jahres zunächst in Söhlde, Nettlingen sowie in Groß und Klein Himstedt eingesetzt. Krankheit, Urlaub, Erziehungszeit oder Vakanzen können die Vertretungspastorin aber jederzeit an einen anderen Arbeitsplatz führen. Denn der Fachkräftemangel hat auch vor der Kirche nicht halt gemacht.
Aufgrund der dünnen Personaldecke sei es immer schwieriger geworden, solche Lücken zu schließen, sagt Superintendent Christian Castel. Besonders im südniedersächsischen Raum, der sich nicht gerade als Top-Lage auszeichne. Deshalb sei er froh, dass die Landeskirche eine von zwei Stellen für eine „pfarramtliche Feuerwehr“ finanziert habe. Im Amtsbezirk Alfeld sei eine zweite halbe Stelle mit Springerpastorin Andrea Haase bereits zum 1. Mai besetzt worden, vom 1. September an werde daraus eine volle Stelle. Die Kosten hierfür übernimmt der Kirchenkreis.
Ellen Radtke ist mit der Eimer Pastorin Stefanie Radtke verheiratet, hat in Bielefeld und Berlin studiert. Nach dem Vikariat in Berlin-Lichtenrade führte sie ihre erste Pfarrstelle nach Golzow in Brandenburg. Eine typische Ex-DDR-Gemeinde, wie eine Begegnung mit einer zweiten Schulklasse zeigt. Die lud die Pastorin eines Tages in die Kirche ein, fragte, wer denn da am Kreuz hänge. Die Schüler reagierten mit betretenem Schweigen. Bis sich endlich ein Junge meldete und im Gekreuzigten Herkules erkannt haben wollte. „Das war einerseits natürlich traurig, aber auch grandios“, erinnert sich Ellen Radtke. Denn so hatte sie ein völlig freies Spielfeld, konnte ihre Arbeit nach eigenen Vorstellungen beginnen: „Es gab ja keinerlei Rituale wie beispielsweise den Weltgebetstag der Frauen.“ Und noch etwas gefiel den Eheleuten in Golzow: das Dorfleben.
Deshalb zogen sie nach der Zeit in Brandenburg nach Eime, wo Ellen und Stefanie Radtke einen intensiven Kontakt zu sämtlichen Vereinen pflegen. Das dürfte als Springerpastorin in den anderen Kirchengemeinden schwierig werden. Aber die Verkündigung ist zumindest gesichert. Und die anderen schönen Dinge auch: „Jetzt beginnt ja die Hochzeitssaison“, sagt die Pastorin voller Vorfreude. Es dürften also weitere Tage mit Goldrand folgen. Peter Rütters